STALAG 326. Heute das Gestern lebendig erinnern

jörg schlüter blickt auf das stalag-denkmal am bahnhof hövelhof

Stalag 326 (VI K) Senne. Hinter dieser bürokratischen Bezeichnung verbarg sich das größte Kriegsgefangenenlager für sowjetische Soldaten im ehemaligen deutschen Reich. Vor achtzig Jahren trafen am Hövelhofer Bahnhof die erste Gefangenentransporte an. (Auf dem Bild: die dortige Gedenktafel)

Über den heute noch sogenannten „Russenpatt“ wurden die Rotarmisten durch den Hövelhofer Wald ins Lager bei Stukenbrock getrieben. Vor den Augen der Zivilbevölkerung. Einige Mutige widersetzen sich den strikten Kontaktverboten und leisten Hilfe. Andere „Volksgenossen“ machten Sonntagsausflüge, sogenannte „Untermenschen“ anzusehen.

Vom Juli 1941 bis zur Befreiung des Lagers im April 1945 sind über 300.000 Gefangene, zum Großteil Russen, drangsaliert worden. Das Stalag 326 diente als Drehscheibe für die Arbeitseinsätze im Ruhrbergbau, der Rüstungsindustrie und in ganz Ostwestfalen-Lippe. Die Bedingungen waren erbärmlich: Hungerrationen, unzureichende Unterkünfte, ein Willkürregime, auch Seuchen wie Fleckfieber und Ruhr. Eine genaue Todeszahl ist ungewiss. Seriöse Schätzungen gehen bis zu 70.000 Toten aus.

Halten wir fest: Verantwortlich für die Kriegsgefangenen war das Militär. Bewusst setzte die Führung der Wehrmacht gegenüber den Rotarmisten alle Konventionen zum Schutz von Kriegsgefangenen außer Kraft. Über drei Millionen, zwei Drittel der sowjetischen Kriegsgefangenen, wurden Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik. In diesem Punkt vollkommend entsprechend der nationalsozialistischen Ideologie sonderte die Wehrmacht Kommissare und jüdische Soldaten zur Ermordung aus und ließ systematisch zu, dass die Gefangenen erkrankten und verhungerten. Ein Kriegsverbrechen.

Nach der Befreiung entstand ein sowjetischer Ehrenfriedhof mit Gräbern und einem umstrittenen Mahnmal. Die Briten errichteten in Staumühle das „Internierungslager Eselsheide, wo sie Nationalsozialisten und mutmaßliche Kriegsverbrecher inhaftierten. Ab 1948 wurde das Lagergelände vom Sozialwerk Stukenbrock zur Unterbringung von Flüchtlingen aus den ehemaligen Ostgebieten genutzt.

„das Schicksal der 5,3 Millionen Sowjetischer Kriegsgefangenen aus dem Erinnerungsschatten herausholen“

Bundespräsident Joachim Gauck

Heute lassen sich an drei Gebäuden Spuren vom Stalag erkennen: Beim Arrestgebäude, bei der Entlausungsstation und der Kirche des „Sozialwerks Stukenbrock“. Zusammen mit dem Sowjetischen Ehrenfriedhof mit den Gräbern und dem Mahnmal geben sie die große Chance, eine Lücke in unserer Erinnerungskultur zu schließen.

Sehr bewusst wählte Bundespräsident Joachim Gauck 2015 genau diesen Ort, um in seiner Rede zum Befreiungstag am 8. Mai zu appellieren, „das Schicksal der 5,3 Millionen Sowjetischer Kriegsgefangenen aus dem Erinnerungsschatten herauszuholen“.  Seitdem arbeitet eine breite regionale Initiative daran, die Gedenkstätte Stalag 326 und des sowjetischen Ehrenfriedhofs in Stukenbrock zu einer Gedenk- und Begegnungsstätte von überregionaler und internationaler Bedeutung auszugestalten. Dazu müssen Bund wie auch das Land substantielle finanzielle Beiträge zur Weiterentwicklung bereitstellen. Alle Kreistage wie auch der Regionalrat unterstützen das Vorhaben.

Es ist ein großes Verdienst der der weitgehend ehrenamtlich getragenen Gedenkstätte, dass sie unseren Blick auf die Einzelschicksale und Biographien gelenkt hat. Da gibt es noch viel Recherchebedarf. Darüber hinaus sollte eine Neukonzeption herausarbeiten:

  • die Zusammenhänge mit dem deutschen Vernichtungskrieg im Osten, dabei besonders die Verantwortung der Wehrmacht
  • die Binnenstruktur des Lageralltags und die Beziehungen zur Außenwelt
  • die wechselvolle Nachkriegsgeschichte mit dem Internierungs- und dem Flüchtlingslager, insbesondere die scharfen Kontroversen um die Erinnerungskultur, die sich am Obelisken aber auch am umstrittenen Arbeitskreis „Rosen für Stukenbrock“ festgemacht haben.

Mit der Wewelsburg haben wir im Kreis Paderborn bereits ein Vorzeigestück eines Erinnerungsortes. Wenn jetzt das Stalag 326 als weitere Begegnungsstätte unser Geschichtsbewusstsein erweitert, setzen wir damit ein Zeichen gegen aufkeimende Nationalismen und rassistische Ausfälle.

Als weiteren, ganz praktischen Schritt hier im Kreis Paderborn rege ich an, den Text auf der Hinweistafel zum Russenpatt so zu überarbeiten, dass der historische Abgrund deutlich wird.